Leipzig: Bastelaktion gegen die Einsamkeit

Die Corona-Pandemie ist nicht nur für Kliniken und Pflegeheime eine starke Belastung, sondern insbesondere auch für ältere Menschen, die allein leben. Für uns im Projekt RubiN ist es wichtig, dass wir diese Menschen im herannahenden Corona-Winter nicht aus den Augen verlieren. Wie das funktionieren kann, haben die ehrenamtlichen Helfer der Leipziger Grünen Damen und Herren gezeigt. Gemeinsam mit den Alltagsbegleiter*innen wurde auch in diesem Jahr das Weihnachtsbasteln mitorganisiert und durchgeführt.

RubiN-Patienten trafen sich dabei in vorangemeldeten Kleinstgruppen unter der Leitung von Sonja Deubel, um gemeinsam Weihnachtskarten und Dekorationen für die Patienten des Leipziger Parkkrankenhauses und des Herzklinikums herzustellen. In den kommenden Wochen können die handgefertigten Resultate der Aktion dort von denjenigen gekauft werden, die ihren Angehörigen eine Freude machen wollen.

Im Vordergrund der Bastelaktion steht die gemeinsame Zeit, denn emotionale Tiefschläge können jeden treffen. Kurzweilige Aktionen wie diese sind ein gutes Beispiel für das hohe Engagement der ehrenamtlichen Helfer, die sich gemeinsam mit RubiN für Senioren einsetzen. Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Teilnehmern!

Menschen hinter RubiN: Nicole Fischer

Das Rückgrat von RubiN bilden die ausgebildeten Care- und Casemanager (CCM), die mit ihrer engagierten Tätigkeit das Konzept von RubiN in die Tat umsetzen. In unserer niedersächsischen Modellregion Ammerland / Uplengen / Wiesmoor sind sie als Versorgungskoordinatorinnen bekannt. Nicole Fischer ist von Anfang an dabei und hat für uns beantwortet, wie die Arbeit als CCM rückblickend zu bewerten ist.

Frau Fischer, was gefällt Ihnen besonders an der Arbeit für RubiN?

Ich kann durch das Projekt helfen, wo Hilfe benötigt wird, damit die Betroffenen so lange wie möglich in der Häuslichkeit verbleiben können. Die enge Zusammenarbeit und der intensive Austausch mit den Patienten ohne Zeitdruck ist ebenfalls etwas sehr wertvolles für mich. Auch das ausgewogene Maß an der selbstständigen Arbeit und der Arbeit im Team gefällt mir sehr.

Projekt RubiN wird eine neue Versorgungsform erprobt. Wie viele Abläufe und Methoden haben Sie in den letzten zwei Jahren erlernt?

Es ist unmöglich diese als Zahl zu benennen, denn wir befinden uns in einem stetigen Lern- und Entwicklungsprozess.

Für die wissenschaftliche Auswertung müssen Sie viele Daten sammeln. Wie hat das funktioniert?

Im Großen und Ganzen würde ich sagen ganz gut. Es war allerdings über die gesamte Laufzeit des Projektes ein Auf und Ab und mit viel Kraft und Durchhaltevermögen verbunden. Man hatte zum Beispiel gerade die Dokumentation abgeschlossen und dann gab es eine Neuerung und die gesamte Dokumentation musste wieder angepasst werden. Auch hatte man oft mit der Skepsis der Teilnehmer und deren Angehörigen zu kämpfen, weil einige Daten als zu sensibel empfunden wurden, um diese zu teilen.

Bald endet die Betreuung durch RubiN. Was bedeutet das für Sie? Und wie gehen die von Ihnen betreuten Patienten damit um?

Es ist für mich ehrlich gesagt sehr schwer zu beschreiben. Ich bin traurig und fühle mich auch etwas hilf- und machtlos. Man hat so viel Zeit und Kraft investiert, alles so aufzubauen und nun am Höhepunkt muss man den Teilnehmern sagen, dass sie ab nun wieder auf sich allein gestellt sind. Die Patienten sind ebenfalls sehr traurig. Trotz der Aufklärung zu Beginn war es vielen nicht so bewusst, dass es eine zeitliche Begrenzung gibt. Sie haben Angst davor, wie es sein wird ohne RubiN. Für alle fällt eine wichtige Vertrauens- und Ansprechperson weg.

Gibt es eine Andekdote aus Ihrer Zeit im Projekt, die Sie mit uns teilen möchten?

Wir Koordinatorinnen wurden von Patienten oft namentlich als Frau RubiN benannt 😊.

Menschen hinter RubiN: Lukas Weiss

Einer der Schwerpunkt für eine erfolgreiche Projektumsetzung liegt in der Aufgabe unserer Ausbilder in RubiN. Einer von ihnen ist Lukas Weiss. Der Gesundheitspsychologe und Rettungssanitäter ist für das GeriNet Leipzig tätig und arbeitet im Projekt RubiN als Ausbilder, Supervisor und Coach. Seine Rollen reichen vom Zuhörer über „Fels in der Brandung“ bis hin zum Motivator und Lehrenden. Wir haben ihn gefragt, wie die Ausbildung konzipiert ist und welche Motivation sich hinter seiner Tätigkeit verbirgt.

Herr Weiss, wie läuft die Weiterbildung der Care- und Casemanager im Projekt RubiN ab und was ist dem Ausbilderteam dabei besonders wichtig?

Care- und Casemanager ausbilden klingt erst einmal einfach. Es ist aus wissenschaftlicher und inhaltlicher Sicht entsprechend der aktuellen Studienlage schnell erklärt. Die größte Herausforderung ist das Wissen um eine effizientere Versorgung und das Hinterherhinken der Strukturen und Prozesse im Gesundheitswesen. Daher war meine Aufgabe, die regionalen Versorgungslücken zu erkennen und den Absolvent*innen Schritt für Schritt das richtige Handwerkszeug, die gefüllten Notfallkoffer, je nach Lernphase und Region zur Verfügung zu stellen.

Grundsätzlich gliedert sich unsere Fort- und Weiterbildung in drei Teile. Wir starten, aufgrund von Mittelkürzungen im Innovationsfondsprojekt, mit einer Online-Schulung an die sich anschließend eine einwöchige Theorie-Praxis-Einheit vor Ort anschließt. Da wir innerhalb der Bildungsmaßnahme das didaktische Prinzip des lebenslangen Lernens verfolgen haben wir uns beim Curriculum entschieden in Phase 3 die Auszubildenden zwei Jahre lang begleitend zu coachen. Uns ist hierbei zum einen natürlich das erlernte Fachwissen wichtig, aber auch die persönliche Entwicklung der Absolventen. Da die Aufgabe des Care und Case Managers stetig neue Herausforderungen mit sich bringen ist eine persönliche Weiterentwicklung zur Bewältigung der anfallenden Aufgaben entscheidend.

Nach der Grundausbildung folgt das Coaching. Was ist damit gemeint?

Richtig, in der 3. Phase der Ausbildung starten wir mit 220 Stunden Supervision und Coaching über zwei Jahre. Es wird zwischen Einzel- und Gruppensupervision unterschieden. Im Vordergrund der Einzeltermine stehen vor allem, wie eben bereits erwähnt, die Persönlichkeitsentwicklung und Reflexion des Lernprozesses. Hierbei lernen die Absolvent*innen ihre unterschiedlichen Rollen und deren Entwicklungsstufen kennen und schätzen. Ich als Coach darf den Prozess begleiten und freue mich über jede Lernstufe. Es ist eine spannende und herausfordernde Aufgabe in der Erwachsenenbildung den lebenslangen Lernprozess aufzuzeigen und sich mit den aktuellen Entwicklungen befassen zu dürfen. Die Gruppensupervision befasst sich mit der Aufarbeitung bestehender Fälle. Durch das Lernen und Reflektieren in der Gruppe mithilfe geeigneter Methoden, wie zum Beispiel der kollegialen Beratung lassen sich auch schwere Fälle strukturiert nacharbeiten, und durch die multiprofessionellen Teams vor Ort (Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Krankenschwester und Altenpfleger) bekommt man aus allen Fachgebieten ein gutes Feedback und Ideen für die weitere Versorgung.  

Des Weiteren werden sozialrechtliche Lücken und Fehlaussagen im Gesundheitssystem immer wieder deutlich, da eine standardisiertes assessmentgestütztes Casemanagement noch zu wenig Einzug in die aktuelle Versorgungslandschaft erhält.

Der GeriNet e.V. hat schon seit Jahren mit der Ausbildung ehrenamtlicher Helfer zu tun. Inwiefern baut der Lehrplan bei RubiN auf diesen Erfahrungen auf?

Die Entwicklung des Curriculums „GeriNurse“, ist eine stetige Entwicklung aus den Erfahrungen der letzten 7 Jahren gewesen. Schon 2013 haben wir mit der Entwicklung von unseren ehrenamtlichen Übungsleitern für Senioren (GeriNeTrainer) festgestellt, dass viele Senioren nicht umfangreich genug versorgt sind bzw., dass viele nicht wissen, welche Leistungen Ihnen im Gesundheitssystem zur Verfügung stehen. Daraufhin haben wir in den folgenden Jahren ein interprofessionelles Gremium erstellt, welches sich zum Ziel gemacht hat, mithilfe der Care und Case Mangager*innen, eben jene Versorgungslücken zu schließen.

Sie arbeiten jetzt schon mehr als zwei Jahre an RubiN, auch die Vorbereitungen haben Sie begleitet. Warum hat sich diese Arbeit bisher gelohnt?

Nach zwei Jahren Begleitung würde ich mit den Kenntnissen jetzt sagen, dass das Vertrauen in die Absolvent*innen und die aufzubauende Basis sich jetzt schon bezahlt machen. Die Netzwerkstrukturen, welche die Care und Case Manager*innen in Zusammenarbeit mit Ihrer Leitung aufgebaut haben, bilden auf die nächsten Jahre gesehen schon jetzt ein Plus in der heutigen Versorgungslandschaft. Zudem sind die Motivation und Offenheit aller Beteiligten am Prozess entscheidend für ein erfolgreiches Gelingen eines Projektes dieser Größe. Im Mittelpunkt stand und steht die Empathie und die Zusammenarbeit mit den Patienten und den Dienstleistern in jeder Region. Dieses Ziel haben die Case und Care Manager*innen nicht nur erfüllt Sie haben es sogar geschafft, dass RubiN sich als Marke in den Regionen etablierte.

Menschen hinter RubiN: Stefanie Bließ

Der Kern des Projekts RubiN ist ohne jeden Zweifel die Arbeit der Care- und Casemanager, die täglich damit beschäftigt sind, Risikopatienten bestmöglich zu betreuen. Den reibungslosen Ablauf gewährleisten regionale Projektleiter, die es in jeder unserer fünf Interventionsnetze gibt. In der niedersächsischen Modellregion Ammerland / Uplengen / Wiesmoor übt Stefanie Bließ vom Ärztenetz pleXxon die Projektleitung aus. Zum Auftakt unserer Serie „Menschen hinter RubiN“ haben wir sie gefragt, wie die Arbeit der Care- und Casemanager in der Region koordiniert wird.

Frau Bließ, wie sieht Ihr normaler Arbeitstag aus? Welche Aufgaben stehen in den nächsten Tagen an?

Meine täglichen Aufgaben sind sehr vielfältig – jeder Tag sieht anders aus. Das liebe ich an meiner Tätigkeit! Zu meinen Aufgaben gehört es, mein Team zu koordinieren und bei allen Belangen zu unterstützen. Die Umsetzung der Projektziele und Meilensteine werden von mir überwacht und bei Bedarf nachjustiert. Natürlich gehört auch die normale Mitarbeiter-Führung zu meinen Aufgaben, wobei die Motivation des Teams bei uns nicht notwendig ist.

Ein großer und wichtiger Teil meiner Arbeit ist außerdem die Kontrolle sowie das Qualitätsmanagement der Dokumentation. Nur wenn wir unsere Arbeit ausführlich dokumentieren, kann sie erfolgreich ausgewertet werden. Ich muss dafür überprüfen, ob auch wirklich alle erforderlichen Assessments bei den Patienten durchgeführt wurden und ob die Form sowie Inhalt der Dokumentation für die Evaluation ausreichend ist.

Einmal wöchentlich haben wir eine intensive Teambesprechung. Hier werden alle wichtigen Ereignisse der letzten Woche ausgewertet, denn unsere Arbeit ist ein stetiger Verbesserungsprozess. Wir lernen von unseren Fehlern und versuchen, unseren Patienten noch besser zu helfen.

Jeden Tag arbeiten wir an der Fortführung des Projekts. Die Corona-Zeit macht es uns nicht leicht. Eigentlich standen viele wichtige Termine mit den politischen Entscheidungsträgern an, aber die mussten nun alle ausfallen. Ich recherchiere neue Fördermöglichkeiten, wende mich an Gremien sowie Politikern aus der Region und Niedersachsen.

In den nächsten Tagen steht auch die Organisation der RubiN-Veranstaltung für unsere Ärzte und MFAs an. Hier geht es darum, die erreichten Ziele, Erfolge, Stolpersteine und Fehler zu analysieren und auszuwerten. Bei der Veranstaltung werden erste Projektergebnisse präsentiert. Auch ein Netzwerkpartner wird über seine Erfahrung mit RubiN berichten und dabei auf die dringliche Weiterführung von RubiN aufmerksam machen.

Gibt es auch einen regelmäßigen Austausch mit den Projektleitern der anderen Regionen?

Der Austausch mit den anderen Projektleitern ist absolut wichtig und findet regelmäßig statt. Anders als in anderen Projekten haben wir bei RubiN das Glück, dass wir unsere Regionen miteinander vergleichen und voneinander lernen können. Vieles läuft ähnlich ab, aber die Menschen sind überall verschieden. Wir können die regionalen Unterschiede aufzeigen. Außerdem profitiere ich von den Meinungen und Anregungen der anderen Regionen. Wenn man mal nicht weiterkommt, können mir die anderen Projektleiter oft neue Wege zeigen, die sie zum Teil schon erfolgreich gegangen sind.

In anderen Regionen sieht auch die Versorgung unserer Zielgruppe schon besser aus. Das Land Niedersachsen hat sich gegen die Nachbarschaftshilfe § 45a SGB XI ausgesprochen. Die Patienten aus den anderen Regionen mit diesem Rechtsanspruch können davon sehr profitieren und Versorgungslücken können so geschlossen werden. Durch unseren Austausch, kann ich auch Niedersachsen diesen Missstand auszeigen und versuchen, die Dringlichkeit des Rechtsanspruchs auch hier umzusetzen.

Inwiefern bestimmt Corona immer noch Ihre Arbeit?

Ab März hätten wichtige Gespräche und Veranstaltungen mit Politikern stattgefunden, die leider auf unbestimmte Zeit verschoben werden mussten. Diese Gespräche wären so wichtig gewesen, um den Entscheidungsträgern klar zu machen, wie wichtig eine Fortführung unserer Arbeit ist und dass wir eine Finanzierungsmöglichkeit brauchen.

Darüber hinaus muss mein Team auch weiterhin sehr flexibel arbeiten, da immer noch nicht alle Patienten besucht werden können. Trotzdem müssen alle Assessments zu den vorbestimmten Zeitpunkten eingeholt werden. Das bedeutet viel Organisation und Doppelarbeit. Zudem kommt es vor, dass die Patienten auch immer noch sehr unter der Isolation leiden. Deshalb versuchen wir vermehrt, uns um diese Patienten zu kümmern.

Wie erleben Sie das Feedback der betreuten Risikopatienten in Ihrer Modellregion?

Sie sind sehr dankbar, dass sie uns haben. Die Zeit verunsichert die Patienten sehr. Wir betreiben weiterhin viel Aufklärungsarbeit und machen den Patienten deutlich, dass sie weiterhin sehr vorsichtig sein müssen. Aber wir wissen auch, dass Vereinsamung ein enormer Risikofaktor für weitere Erkrankungen ist. Bereits vor der Coronazeit haben vereinsamte Menschen einen großen Hilfebedarf gezeigt. Die Pandemie hat dies noch mehr verstärkt. Wir versuchen, die Menschen über das Telefon zu vernetzen, einige dieser Patienten werden regelmäßig von unseren Koordinatorinnen angerufen.

Es ist auch noch zu sagen, dass bestimmte Gesundheits- und Versorgungprobleme durch Corona verstärkt wurden. Viele unserer Patienten waren stark belastet, weil beispielhaft keine Aufnahme eines dementen Angehörigen in der Tagespflege stattfinden. Es ist zum Teil immer noch schwer, eine gute Versorgung zu organisieren.

Zum Jahresende werden die Fördergelder für RubiN auslaufen. Welche Folgen hat das für die Menschen in Ihrer Region?

Leider sehr große. Unsere teilnehmenden Patienten erkundigen sich regelmäßig, ob eine Lösung gefunden wurde. Sie wissen nun, wie RubiN sie unterstützen kann und nehmen diese Leistung intensiv in Anspruch. Unsere Patienten spiegeln uns wider, dass sie sich schon immer so einen „Dienst“ gewünscht und oft schon viel früher gebraucht haben. Vielen konnten wir dabei helfen ihren Lebensmut, Freude und Aussicht auf einen lebenswerten letzten Lebensabschnitt zurückzuerlangen.

Wir wussten von Anfang an, dass die Laufzeit begrenzt ist. Deshalb war unser Ziel, die Teilnehmer für die Zeit nach dem Projekt vorzubereiten: Dazu gehören eine Beratung zu allen wichtigen Leistungsansprüchen, der Patientenordner, die Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht wie auch ein Hinweis auf alle wichtigen Beratungsstellen. Aber aus der Erfahrung wissen wir, dass geriatrische Patienten oft in Krisensituationen mit all diesen Angeboten überfordert sind und so eine Inanspruchnahme der Beratungsangebote oft nicht stattfindet. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie diese Fälle in Zukunft wieder verlaufen und wie einige Menschen erneut durch das Raster fallen werden. Die Fälle sind meistens sehr komplex, weil mehrere Leistungserbringer und die Wünsche des Patienten koordiniert werden müssen. Das kann nur zufriedenstellend und erfolgreich durch ein Casemanagement organisiert werden. Nach RubiN gibt es das einfach nicht mehr. Das ist sehr traurig und nicht richtig!

Inzwischen haben alle in der Region Beteiligten die Vorteile von RubiN erkannt und schätzen gelernt. Ärzte und Pflegedienste etwa nehmen uns immer mehr in Anspruch und empfehlen uns weiter. Da fällt es schwer nun zu sagen, dass wir nicht mehr weiterhelfen können. Denn oft sind diese Leistungserbringer die Verlierer im System, an denen viel Arbeit hängen bleibt, die sie aufgrund von Zeitmangel nicht koordiniert oder bezahlt bekommen.

Mit dem GPVG scheitern Innovationsfondsprojekte weiter an der Überführung in die Regelversorgung

  • Die im Innovationsfondsprojekt RubiN beteiligten Praxisnetze lehnen die Regelungen des GPVG ab, wonach die selektivvertragliche Fortführung von Versorgungsmodellen als Regelversorgung umgedeutet werden soll.
  • Aus patientenorientierter Sicht ist ethisch nicht vertretbar, die Hilfen für Hochbetagte von Kassenzugehörigkeit und Wohnort abhängig zu machen und diese damit zum Spielball des Kassenwettbewerbs zu erklären.
  • Das Beispiel des Projekts RubiN macht klar, warum neue Versorgungsformen aus dem Innovationsfonds über Selektivverträge nicht in der Regelversorgung ankommen.

Göttingen, 23. September 2020. Im August hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) einen Entwurf für ein Versorgungsverbesserungsgesetz (GPVG) präsentiert. In seiner Stellungnahme mahnte bereits der Bundesverband Managed Care (BMC), dass für Krankenkassen kein Anreiz für die vom BMG gewollten gemeinsamen Selektivverträge erkennbar ist. Für die Patienten, die auf die Hilfestellung aus solchen Verträgen angewiesen sind, kann das fatale Auswirkungen haben. Deutlich wird das am Beispiel des Innovationsfondsprojekts RubiN.

Im Projekt RubiN (Regional ununterbrochen betreut im Netz) helfen Patientenlotsen, so genannte Care- und Casemanager, mehr als 3.200 Risikopatienten im Alter über 70 Jahren bei einer möglichst selbstständigen Lebensweise im eigenen häuslichen Umfeld. Die Hinweise auf den meist erheblichen Hilfebedarf kommen von behandelnden Hausärzten und beziehen häufig das ganze familiäre Geflecht mit überforderten Ehepartnern und hilflosen Kindern ein. Nicht selten müssen Care- und Casemanager für Patientensicherheit sorgen und Notfallsituationen wie Selbst- und Fremdgefährdung meistern. „Gerade Corona hat uns gezeigt: Die Besuche unserer Mitarbeiter sind oft die letzten Rettungsanker, denn viele alte Menschen leben allein und isoliert“, berichtet Lysann Kasprick, Ausbilderin bei RubiN.

Flächendeckend fortführen ließe sich diese Arbeit nach dem Auslaufen der Innovationsfonds-Förderung unter den Bedingungen des GPVG nicht. Kommen neue Selektivverträge zustande, könnten nur Versicherte der teilnehmenden Kassen versorgt werden und nur ein Bruchteil der Care- und Casemanager ihre Arbeit fortsetzen. Das Ergebnis ist ein bürokratischer Flickenteppich.

„Wir sehen uns damit konfrontiert, dass wir Fälle abweisen müssen, die unsere Hilfe dringend benötigen. Das ist in meinen Augen weder patientenorientiert noch ethisch vertretbar und kann schon gar nicht mit dem Wettbewerb der Krankenkassen gerechtfertigt werden,“ meint Claudia Beckmann, Netzkoordinatorin im Projekt RubiN.

Allein für das Projekt RubiN wurden Beitragsgelder von über acht Millionen Euro investiert – mit dem Ziel, diese neue Versorgungsform in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erproben und zu evaluieren. „Es ist sehr schade, diese regional flächendeckenden Versorgungsstrukturen durch potenzielle Selektivverträge der Bedeutungslosigkeit anheimfallen zu lassen“, bedauert Katja Götz, Professorin für Primärversorgungsforschung der Universität zu Lübeck.

Für die Überführung in die Regelversorgung ist vom Gesetzgeber neben der wissenschaftlichen Evaluation anschließend eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses vorgesehen. Die Dauer dieser Prozesse bedeutet, dass mühsam aufgebaute Strukturen in der Zwischenzeit mangels Finanzierung verloren gehen. Deshalb haben die Praxisnetze, die hinter dem Projekt RubiN stehen, bereits vor Monaten einen anderen Weg beschritten und eine Gesetzesinitiative gestartet. Ihrer Ansicht nach muss das Care- und Casemanagement als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in das Sozialgesetzbuch V aufgenommen werden.  Das RubiN-Team ist sich einig: „Die aktuelle Situation zeigt uns, dass unsere Gesetzesinitiative der einzige Weg ist, mit dem wir dringend benötigte Hilfen für alle gesetzlich Versicherten einführen können.“

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Weniger Schwindel, mehr Lebensqualität

Stellen Sie sich vor, Sie sind auf dem Weg zum Bäcker und schlagartig dreht sich die Welt um Sie herum. Sie verlieren die Kontrolle über Ihre Beine und gehen in die Knie. Zudem wird Ihnen schlagartig sehr übel, Sie haben keine Orientierung mehr über oben, und unten, oder links und rechts. Situationen wie diese beschreiben bis zu 50 Prozent aller Senioren im Alter über 70 Jahren. Es handelt sich um eine Schwindelattacke.

Leider tritt dieses Symptom so oft auf, dass es häufig als allgemeines Begleitsymptom des Alters gewertet und einfach akzeptiert wird. Bei Menschen über 75 Lebensjahren ist Schwindel sogar als das am häufigsten geäußerte Leiden . (Neuhauser, H. K. (2009). Epidemiologie von Schwindelerkrankungen. Der Nervenarzt, 80(8), 887-894.

Im Projekt RubiN legen wir mit unseren Care- und Casemanagern Wert auf eine genaue Abklärung und Diagnostik. Wenn unsere Care- und Casemanager im Rahmen eines Assessments oder im persönlichen Gespräch erfahren, dass ein Patient unter Schwindel leidet, gehen wir der Sache konsequent nach. Der erste Schritt ist dabei die Abklärung, um welche Form des Schwindels es sich handelt. Dabei wird zwischen Dreh- (kreisförmig), Schwank- (links-rechts) oder Liftschwindel (hoch-runter) unterschieden. Anschließend erfolgt eine Rückmeldung an behandelnden Hausarzt, denn die Ursachen und Zusammenhänge mit anderen Symptomen sind komplex und vielfältig, können aber in vielen Fällen einfach behoben werden.

Der sogenannte „gutartige Lagerungsschwindel“ – eine der häufigsten Arten bei älteren Menschen, – kann beispielsweise in vielen Fällen selbstständig durch den Patienten aufgelöst werden. Dabei kommt ein einfacher Bewegungsablauf, bekannt als „Epley-Befreiungsmanöver“ zum Einsatz, den unsere Care- und Casemanager beherrschen und an unsere Patienten weitergeben können.

Wir unterstützen unsere Patienten dabei, die Einschränkung der Lebensqualität nicht einfach hinzunehmen. Auch wenn das Symptom im Alter verbreitet ist, wollen wir es nicht als Normalität akzeptieren. Deshalb nehmen unsere Care- und Casemanager den Schwindel ernst – ganz nach dem Motto: Weniger Schwindel, mehr Lebensqualität!

So erlebten wir den Lockdown – Erfahrungsbericht aus der Modellregion Lippe

Allein schon wegen ihres Alters sind alle Patienten, die wir im Projekt RubiN betreuen, durch Covid-19 besonders gefährdet. Um eine Ansteckung auszuschließen, haben wir früh reagiert und unsere sonst regelmäßig stattfindenden Hausbesuche bis auf Weiteres abgesagt. Unsere Patienten haben diese Entscheidung sehr verständnisvoll aufgenommen. Viele wollten aus Angst vor einer Infektion auch selbst keinen Besuch empfangen.

Der Verzicht auf Hausbesuche hat für uns zu keinem Zeitpunkt einen Rückzug aus der Betreuung bedeutet. Stattdessen haben wir andere Wege gefunden, um für unsere Patienten da zu sein. Auch während der Hochphase des Lockdowns waren unsere Care- und Casemanager unermüdlich für ihre jeweiligen Patienten im Einsatz. So haben wir beispielsweise Anleitungen und Material für unser Handkrafttraining per Post verschickt. Weil Datenerhebungen vor Ort nicht denkbar waren, haben wir unsere Assessments so weit wie möglich telefonisch durchgeführt.

Unsere unter normalen Umständen sehr beliebte Rehasportgruppe musste aus Gründen des Infektionsschutzes leider auch ausfallen. Manche unserer Patienten, konnten selbstständig alternative Betätigungen finden, andere litten jedoch mehr unter der eingeschränkten Bewegungsfreiheit. Dabei haben wir den Eindruck gewonnen, dass Patienten mit Angehörigen weitaus besser mit den neuen Herausforderungen umgehen konnten als solche, die allein leben und keine Familie um sich haben. Diese Beobachtung trifft neben der Mobilität auch auf ein Gefühl der Einsamkeit und Isolation zu, von dem uns viele Patienten berichtet haben. Während des Lockdowns haben wir in der Modellregion Lippe daher eine Postkarten-Aktion gestartet, für die wir viel Dankbarkeit erfahren haben.

Inzwischen absolvieren unsere Care- und Casemanager wieder regelmäßig Hausbesuche. Um weiterhin eine Infektion zu verhindern, findet vor jedem Besuch eine individuelle Risikoeinschätzung statt, die sich an einer Vorlage der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) orientiert. Bei den Hausbesuchen werden nun auch die Assessments nachgeholt, die wir in der Zwischenzeit nicht absolvieren konnten. Dies betrifft vor allem eine Erhebung zu kognitiven Einschränkungen (Demtect) und eine weitere zu Einschränkungen der Mobilität (TUG). Die Auswertung der Assessments wird zu einem späteren Zeitpunkt zeigen, ob die Eindrücke, die wir während des Lockdowns gewonnen haben, auch in den Daten wiederzufinden sind.

Eins steht aber schon jetzt fest: Nach Wochen in relativer Isolation sind viele unserer Patienten froh, dass wir wieder zu Besuch kommen. Das zeigt sich nicht zuletzt in einem hohen Gesprächsbedarf seitens der Patienten. Zudem stellen wir fest, dass in der Zwischenzeit oftmals neue Koordinationsbedarfe entstanden sind. Das hat zur Folge, dass wir nun viele der individuellen Hilfepläne ändern und erweitern müssen. Denn trotz Corona gilt: Die Arbeit geht weiter!

So könnte Care- und Casemanagement im Gesetz verankert werden

Im Projekt RubiN beschäftigen wir uns seit Jahren mit der Frage, wie Risikopatienten im Alter über 70 Jahren eine individuelle Begleitung und geeignete Versorgungsangebote zuteilwerden können. Seit dem Start des Projekts konnten wir einen guten Überblick darüber gewinnen, wie Care- und Casemanagement regional qualitativ hochwertig aufgebaut und umgesetzt werden muss. Auch den Aufwand, der dadurch entsteht, können wir konkret beziffern.

Diese Erkenntnisse wollen wir jetzt verstärkt dafür einsetzen, um für eine Fortführung und bundesweite Ausweitung des Care- und Casemanagements zu werben. Denn für RubiN tickt die Uhr. Ende 2020 läuft die Förderung aus dem Innovationsfonds für den Einsatz von Care- und Casemanagerinnen aus – mit ernsten Konsequenzen für die betreuten Risikopatienten, die plötzlich ohne professionelle Hilfestellungen dastehen. Außerdem möchten wir, dass Patienten, die wegen einer oder mehrerer Erkrankungen Hilfebedarf haben überall begleitet werden und nicht nur in einzelnen Modellprojekten. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass ein Leistungsanspruch auf das Care- und Casemanagement in der Gesetzgebung verankert wird.

Eine erste Grundlage dafür ist unser Positionspapier, das mittlerweile von mehr als 25 Projekten und Organisationen unterstützt wird. Darin forderten wir bereits2019 einen gesetzlichen Anspruch auf Care- und Casemanagement. Auf der Basis dieses Konzepts haben wir nun in Abstimmung mit der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe einen Vorschlag für einen Gesetzestext ausgearbeitet.

Der Vorschlag wurde bereits an verschiedenen Stellen auf Länder- und Bundesebene eingereicht. Wir sind beeindruckt von dem großen Interesse an diesem Thema! Unser Vorschlag wird aktuell von mehreren politischen Akteuren ernsthaft geprüft.

Für die kommenden Wochen und Monate hoffen wir jetzt auf einen verstärkten Austausch über eine mögliche Einführung des Care- und Casemanagements. Gerade unter Pandemiebedingungen erscheint es uns sehr dringlich, die Anwaltschaft besonders der alleinlebenden alten Menschen in Deutschland zu übernehmen und die Diskussion über strukturierte und verlässliche Hilfen mit unserem Vorschlag zu beleben. Denn in Zeiten der Not ist der Bedarf nach Menschlichkeit groß.

Im Einsatz für mehr Selbstbestimmung im hohen Alter

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V. (BAGSO) fordert in einer Mitteilung vom 02. April  2020 eine weltweite Konvention zur Stärkung der Rechte Älterer. Der Verband zielt darauf ab, die Teilhabemöglichkeiten, die soziale Lage und den Schutz von Senioren in verletzlichen Lebensphasen zu verbessern.

Viele Beispiele zeigen, dass ein hohes Alter einem aktiven und engagiertem Alltag nicht im Weg stehen muss. Senioren sind also nicht per Definition hilfsbedürftig. Für diejenigen, die Hilfe benötigen, ist diese zum Teil aber nur schwer erreichbar. Zu viele Senioren leben zurückgezogen, sind überfordert und leiden unter gesundheitlichen Problemen, die nicht angemessen versorgt werden. Das gilt umso mehr, weil das Telefon in diesen Zeiten bei vielen Betroffenen die einzige Verbindung zur Außenwelt darstellt. Digitale Kommunikationsmittel stehen vielen gar nicht zur Verfügung. Deshalb leben viele Senioren jetzt noch isolierter als zuvor. An eine gewöhnliche soziale Teilhabe ist unter diesen Umständen kaum zu denken.

Im Projekt RubiN werden Risikopatienten im Alter über 70 Jahren deshalb von ausgebildeten Care- und Casemanagern begleitet. Nach einer Analyse des individuellen Unterstützungsbedarfs können die Care- und Casemanager ihre Patienten zu geeigneten Versorgungsangeboten lotsen. Dazu zählen beispielsweise Arztbesuche und in normalen Zeiten auch Sportgruppen oder andere soziale Angebote. Außerdem können die Care- und Casemanager helfen, wenn ein Pflegegrad oder beispielsweise eine neue Gehhilfe beantragt werden muss. Zusätzliche Maßnahmen wie ein Handkrafttraining für zu Hause unterstützen die betreuten Risikopatienten bei der Beibehaltung ihrer Alltagskompetenz.

In der Summe sollen diese Maßnahmen Senioren helfen, möglichst lange gesund, aktiv und im eigenen häuslichen Umfeld zu bleiben. Die Befähigung zu einem möglichst selbstständigen Alltag gehört zu den Kernanliegen des Care- und Casemanagements. RubiN leistet somit einen wichtigen Beitrag für mehr Selbstbestimmung im hohen Alter – auch in Corona-Zeiten.

Care- und Casemanagement zu Corona-Zeiten

Für die 3.200 Risikopatienten, die wir in unseren fünf Modellregionen betreuen sind schwere Zeiten angebrochen. Alle von Ihnen sind über 70 Jahre alt und ein Großteil leidet unter Vorerkrankungen, die bei einer Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus einen milden Verlauf eher unwahrscheinlich machen. Wie können unsere Care- und Casemanager in dieser Situation am besten für ihre betreuten Patienten da sein?

Wegen der Gefahr, die bei einer Ansteckung droht, steht der Schutz der Risikopatienten für uns an erster Stelle. Er bestimmt jetzt die Arbeit der Care- und Casemanager, die dafür ihren Alltag in weiten Teilen umgestaltet haben. Die sonst üblichen Hausbesuche sind in dieser Situation kaum sinnvoll, deshalb findet die Betreuung in diesen Tagen primär telefonisch statt. Dabei merken wir, wie die Isolation unseren Patienten zusetzt. Depressive Tendenzen treten beispielsweise verstärkt zutage. Wir können Betroffene damit nicht allein lassen, also werden Telefonketten und ehrenamtliche Helfer aktiviert. Verstärkt geht es darum, dass einfach jemand erreichbar ist und zuhört, auch wenn das derzeit nur über das Telefon möglich ist. Um unsere Risikopatienten in der Isolation zu unterstützen, organisieren wir außerdem Einkaufshilfen.

In mehreren Modellregionen ist inzwischen auch eine Mundschutz-Produktion angelaufen. Mit etwas Stoff, Draht und Faden kann jeder zuhause einen einfachen, waschbaren Mundschutz nähen, der die Tröpfchenverteilung und damit die Ansteckungsgefahr zumindest ein bisschen minimeren kann. Unser Ausbildungspartner GeriNet Leipzig e.V. hat eine entsprechende Anleitung veröffentlicht.

Diese Maßnahmen können natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Die aktuelle Situation stellt unser Projekt insgesamt vor große Herausforderungen. Gleichzeitig wird mehr denn je deutlich, wie wichtig eine niedrigschwellige Koordination und Unterstützung für viele im hohen Alter sein kann, die sonst schnell überfordert, abgehängt und vergessen sind. Das Engagement unserer Care- und Casemanager ist in dieser schwierigen Zeit deshalb ungebrochen. Wir bleiben dran und werden weiterhin so gut wie möglich für unsere Risikopatienten da sein!