Mit dem GPVG scheitern Innovationsfondsprojekte weiter an der Überführung in die Regelversorgung

  • Die im Innovationsfondsprojekt RubiN beteiligten Praxisnetze lehnen die Regelungen des GPVG ab, wonach die selektivvertragliche Fortführung von Versorgungsmodellen als Regelversorgung umgedeutet werden soll.
  • Aus patientenorientierter Sicht ist ethisch nicht vertretbar, die Hilfen für Hochbetagte von Kassenzugehörigkeit und Wohnort abhängig zu machen und diese damit zum Spielball des Kassenwettbewerbs zu erklären.
  • Das Beispiel des Projekts RubiN macht klar, warum neue Versorgungsformen aus dem Innovationsfonds über Selektivverträge nicht in der Regelversorgung ankommen.

Göttingen, 23. September 2020. Im August hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) einen Entwurf für ein Versorgungsverbesserungsgesetz (GPVG) präsentiert. In seiner Stellungnahme mahnte bereits der Bundesverband Managed Care (BMC), dass für Krankenkassen kein Anreiz für die vom BMG gewollten gemeinsamen Selektivverträge erkennbar ist. Für die Patienten, die auf die Hilfestellung aus solchen Verträgen angewiesen sind, kann das fatale Auswirkungen haben. Deutlich wird das am Beispiel des Innovationsfondsprojekts RubiN.

Im Projekt RubiN (Regional ununterbrochen betreut im Netz) helfen Patientenlotsen, so genannte Care- und Casemanager, mehr als 3.200 Risikopatienten im Alter über 70 Jahren bei einer möglichst selbstständigen Lebensweise im eigenen häuslichen Umfeld. Die Hinweise auf den meist erheblichen Hilfebedarf kommen von behandelnden Hausärzten und beziehen häufig das ganze familiäre Geflecht mit überforderten Ehepartnern und hilflosen Kindern ein. Nicht selten müssen Care- und Casemanager für Patientensicherheit sorgen und Notfallsituationen wie Selbst- und Fremdgefährdung meistern. „Gerade Corona hat uns gezeigt: Die Besuche unserer Mitarbeiter sind oft die letzten Rettungsanker, denn viele alte Menschen leben allein und isoliert“, berichtet Lysann Kasprick, Ausbilderin bei RubiN.

Flächendeckend fortführen ließe sich diese Arbeit nach dem Auslaufen der Innovationsfonds-Förderung unter den Bedingungen des GPVG nicht. Kommen neue Selektivverträge zustande, könnten nur Versicherte der teilnehmenden Kassen versorgt werden und nur ein Bruchteil der Care- und Casemanager ihre Arbeit fortsetzen. Das Ergebnis ist ein bürokratischer Flickenteppich.

„Wir sehen uns damit konfrontiert, dass wir Fälle abweisen müssen, die unsere Hilfe dringend benötigen. Das ist in meinen Augen weder patientenorientiert noch ethisch vertretbar und kann schon gar nicht mit dem Wettbewerb der Krankenkassen gerechtfertigt werden,“ meint Claudia Beckmann, Netzkoordinatorin im Projekt RubiN.

Allein für das Projekt RubiN wurden Beitragsgelder von über acht Millionen Euro investiert – mit dem Ziel, diese neue Versorgungsform in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erproben und zu evaluieren. „Es ist sehr schade, diese regional flächendeckenden Versorgungsstrukturen durch potenzielle Selektivverträge der Bedeutungslosigkeit anheimfallen zu lassen“, bedauert Katja Götz, Professorin für Primärversorgungsforschung der Universität zu Lübeck.

Für die Überführung in die Regelversorgung ist vom Gesetzgeber neben der wissenschaftlichen Evaluation anschließend eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses vorgesehen. Die Dauer dieser Prozesse bedeutet, dass mühsam aufgebaute Strukturen in der Zwischenzeit mangels Finanzierung verloren gehen. Deshalb haben die Praxisnetze, die hinter dem Projekt RubiN stehen, bereits vor Monaten einen anderen Weg beschritten und eine Gesetzesinitiative gestartet. Ihrer Ansicht nach muss das Care- und Casemanagement als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in das Sozialgesetzbuch V aufgenommen werden.  Das RubiN-Team ist sich einig: „Die aktuelle Situation zeigt uns, dass unsere Gesetzesinitiative der einzige Weg ist, mit dem wir dringend benötigte Hilfen für alle gesetzlich Versicherten einführen können.“

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RubiN-Modellregionen erreichen Einschreibezahlen: Ärztenetze fordern Care- und Casemanagement in der Regelversorgung

  • Im Projekt RubiN sind die geplanten Einschreibezahlen von 3.200 Patienten erreicht.
  • Die Ärztenetze, die das Care- und Casemanagement in RubiN umsetzen, fordern in einem Positionspapier dessen Verankerung in den Sozialgesetzbüchern.
  • Am 20. Januar 2020 richten die Projektpartner in Berlin einen Neujahrsempfang mit Pressekonferenz zur Zukunft des Care- und Casemanagements aus.

Göttingen, 20. November 2019. Das Projekt RubiN, das mit rund acht Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert wird, hat einen wichtigen Meilenstein erreicht. In den fünf Modellregionen wurden insgesamt 3.200 geriatrische Patienten in das Projekt aufgenommen. Pro Region werden nun 640 Senioren im Alltag von ausgebildeten Care- und Casemanagerinnen begleitet.

Die Betreuung beginnt mit einem umfassenden Assessment der Lebenssituation der Patienten zur Ermittlung des Unterstützungsbedarfs. In der Folge werden dann geeignete Hilfsangebote identifiziert, deren Inanspruchnahme konkret angeleitet und vermittelt wird. Das kann beispielsweise die Beantragung von Sozialhilfe, die Suche nach einem Hausbesuchstherapeuten oder die Antragstellung für einen Pflegegrad sein. In enger Abstimmung mit den behandelnden Ärzten entsteht so um jeden Patienten ein individuell angepasstes Versorgungsnetz. „Die Unterstützungsmöglichkeiten durch RubiN sind genau so vielfältig, wie die individuellen Bedarfe unserer betreuten Senioren und ihrer Angehörigen“, erklärt Lysann Kasprick, vom GeriNet Leipzig e.V., die alle Care- und Casemanagerinnen für RubiN ausgebildet hat.

Modellregionen fordern „Leistungsanspruch“
Wie bei allen durch den Innovationsfonds geförderten Projekten ist auch bei RubiN die Unterstützung der geriatrischen Patienten zunächst auf die Laufzeit des Projekts begrenzt. Claudia Beckmann, Netzwerkkoordinatorin in RubiN, erklärt: „Das Care- und Casemanagement aus RubiN schließt eine echte Versorgungslücke. Deshalb muss diese wichtige Arbeit unbedingt fortgesetzt und verstetigt werden. Nachhaltig funktioniert das aber nur in der Regelversorgung, in die das Care- und Casemanagement aus diesem Grund aufgenommen werden muss.“

Ihre Forderung haben die fünf Ärztenetze, die das Care- und Casemanagement bei RubiN umsetzen, in einem Positionspapier niedergeschrieben. Konkret fordern sie darin einen „Leistungsanspruch“ auf Care- und Casemanagement sowie dessen Verankerung in den Sozialgesetzbüchern. Hier ist beispielsweise die SAPV geregelt. Eine vergleichbare Anerkennung als eigenständige, sektorenübergreifende Versorgungsform wollen die Ärztenetze nun auch für das Care- und Casemanagement erreichen.

Die Zeit drängt
Noch bis Ende 2020 ist die Finanzierung des Care- und Casemanagements bei RubiN durch den Innovationsfonds gedeckt. Doch dann endet die Förderung – mit ernsten Konsequenzen für die betreuten Senioren, wie Dr. Andreas Rühle, Geschäftsführer des Ärztenetzes plexXon, schildert: „Nach dem aktuellen Stand der Dinge müssen wir alle Care- und Casemanagerinnen zum Projektende entlassen. Die im Projekt aufgebaute Expertise und die dazugehörigen Strukturen gehen weitestgehend verloren. Eine lückenlose Überführung in die Regelversorgung ist deshalb von enormer Bedeutung.“

Um ihrem Ziel näherzukommen, sind die Ärztenetze nun auf der Suche nach Projekten und Organisationen aus dem Gesundheitswesen, die eine Etablierung des Care- und Casemanagements politisch unterstützen. Dafür plant das Konsortium am 20. Januar 2020 einen Neujahrsempfang mit Pressekonferenz zur Zukunft des Care- und Casemanagements.

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Innovationsfondsprojekt RubiN unterstützt mehrfacherkrankte Senioren bei einer selbstständigen Lebensweise

  • Im Innovationsfondsprojekt RubiN koordinieren Case Manager die Versorgung von geriatrischen Patienten.
  • Eine wissenschaftliche Begleitstudie untersucht, ob und wie der neue Versorgungsansatz in die Regelversorgung übertragen werden kann.

Seit dem 01. Januar 2019 wird im Innovationsfondsprojekt RubiN erprobt, ob sogenannte Case Manager geriatrische Patienten bei einer selbstständigen Lebensweise im häuslichen Umfeld unterstützen können. 3.200 Patienten aus den fünf Praxisnetzen pleXxon GbR (Ammerland), Praxisnetz Herzogtum Lauenburg e.V., Leipziger Gesundheitsnetz e.V., Ärztenetz Lippe GmbH und Gesundheitsregion Siegerland GbR sollen von dem neuen Versorgungsansatz profitieren.

Rund 20 Case Manager sind für RubiN bei den beteiligten Praxisnetzen angestellt. Sie nehmen ihre Aufgabe in enger Zusammenarbeit mit den behandelnden Hausärzten wahr, beginnend mit einer gemeinsamen Einschätzung des individuellen Unterstützungsbedarfs. Dabei wird für jeden Patienten ein Versorgungsplan erstellt. Dieser umfasst beispielsweise Hilfe bei der Beantragung eines Pflegegrades oder Hilfsmittels. Auch der Zugang zu sozialen Angeboten und die Abstimmung der Versorgung zwischen Krankenhaus, Arztpraxis sowie Pflegedienst spielen dabei eine Rolle. So entlasten die Case Manager zudem Hausärzte und Angehörige.

Ob diese Form der Unterstützung die Versorgungssituation und dadurch die Selbstständigkeit geriatrischer Patienten effizient und effektiv verbessern kann, ist bislang kaum erforscht. Daher ist RubiN Gegenstand einer wissenschaftlichen Begleitstudie, die von der Universitätsmedizin Greifswald, der Goethe-Universität Frankfurt am Main und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein sowie dem Institut für angewandte Versorgungsforschung (inav) durchgeführt wird. 1.200 normalversorgte geriatrische Patienten aus drei Vergleichsregionen dienen dabei als Kontrollgruppe.

Sonja Laag, Leiterin für Versorgungsprogramme bei der BARMER Krankenkasse und Konsortialführerin von RubiN, erklärt: „Mit RubiN testen wir strukturiert die Wirksamkeit einer regionalen Vernetzungsform. Aufgaben, die in der Versorgung älterer Menschen vom Patienten oder seinen An- und Zugehörigen wie aber auch vom Hausarzt nicht mehr zu bewältigen sind, werden bei RubiN durch das Versorgungsnetzwerk aufgefangen.“

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